Zum didaktischen Konzept
Im Mittelpunkt von „Neue Heimat Israel“ und der didaktischen Überlegungen stehen die Erzählungen von Menschen, die traumatische Einschnitte in ihrem Leben erfahren haben. Die Erinnerungen der Zeitzeuginnen und Zeitzeugen vermitteln, wie sich historische Ereignisse auf ihr Leben ausgewirkt haben, wie sie persönlich damit umgegangen sind und welche Interpretationen sie dem Vergangenen aus der gegenwärtigen Perspektive verleihen.
Der Kern der Lernmodule konzentriert sich auf das aufmerksame und genaue Zuhören und Beobachten, um einfühlendes Verstehen zu fördern. Die SchülerInnen sollen sich nicht nur damit auseinandersetzen können, was und wie erinnert wird, sondern auch die Möglichkeit zur Reflexion erhalten, welche Gefühle die Erzählungen bei ihnen auslösen. Deshalb wird der Sensibilisierung von Prozessen der Selbst- und Fremdwahrnehmung breiter Raum gewidmet.
Die Interview-Ausschnitte können über zwei mögliche Zugänge betrachtet werden:
1) Videoporträts der ZeitzeugInnen (biographischer Zugang): Sie widmen sich in kurzer und prägnanter Form der Lebensgeschichte eines Menschen. Dafür wurden die Interviewsequenzen mit Fotos und mit Aufnahmen, die rund um die Interviews in Israel entstanden sind, angereichert. Die Beschäftigung mit einem (oder mehreren) Videoporträts wird als Einstieg in die Arbeit mit den Interviews empfohlen. (Lernmodul „Videoporträts“ - download)
2) Themenvideos: Diese sind weniger als eigenständige Kurzfilme gedacht, sondern stehen in Zusammenhang mit den auf ihrer Basis erarbeiteten Lernmodulen. Die SchülerInnen setzen sich auf Grundlage von erinnerten, erzählten und auf Video aufgezeichneten Lebensgeschichten mit sieben Themenkreisen auseinander, welche die Menschen nicht auf einen Opferstatus reduzieren, sondern sie in ihrer Vielfalt und als GestalterInnen der eigenen Geschichte präsentieren:
In Österreich vor 1938
Flucht und Vertreibung
Wege nach Palästina/Israel
Die Anfänge
Heimat und Identität
Verhältnis zu Österreich
Reden und Schweigen
Der Schwerpunkt der Lernmodule besteht darin, die Erfahrungen der SchülerInnen mit den Narrationen der ZeitzeugInnen in Beziehung zu setzen. Deshalb werden Übungen zur Verfügung gestellt, die durch die Auseinandersetzung mit eigenen Identitäten den Blick auf Gemeinsamkeiten, aber auch auf Unterschiede mit den Interviewten richten lässt. Die SchülerInnen sollen nicht auf bestimmte Antworten gelenkt werden, sondern eigene Fragen formulieren können; statt vorgeformter Überlegungen können sie sich eigene Gedanken machen und selbst Schlüsse ziehen. Der Erfahrungshorizont und der Wissenstand der SchülerInnen bilden die Basis, von der aus sie sich auf die für sie fremden Geschichten einlassen können.
Dass Videointerviews mit ZeitzeugInnen besondere Quellen sind, die unter bestimmten Umständen und Rahmenbedingungen produziert werden, soll den SchülerInnen durch Reflexionsangebote über die Interviewsituation und das Sichtbar-Werden der Fragenden bewusst gemacht werden. Da die Erinnerungen und subjektiven Erlebnisse von weitaus größerer Bedeutung sind als die Darlegung von Fakten, müssen der Entstehungskontext des Interviews, die Erzählung selbst, ihre Sprache sowie Mimik und Gestik thematisiert werden. Hierbei sind auf Seiten der SchülerInnen Irritationen nicht nur erlaubt, sondern sogar gewollt. Gerade die mitunter sichtbare Diskrepanz zwischen dem Erlebten und dem Erzählten kann dazu beitragen, dass SchülerInnen die Kompetenz erwerben, mit dem Format „ZeitzeugInneninterview“ umzugehen.