Wer bin ich gewesen?
Die jüdischen Überlebenden aus Österreich berichten über ihre Jugendzeit in Wien und über ihr damaliges Selbstverständnis. Die Mehrheit der vor dem „Anschluss“ in Österreich beheimateten jüdischen Bevölkerung lebte weitgehend wie ihre nicht-jüdische Umgebung, nicht abseits von ihr, sondern mit ihr. Sie war mehr oder weniger religiös, mehr oder weniger gebildet, mehr oder weniger begütert. Der Alltag der streng religiösen Juden und Jüdinnen unterschied sich von dem der assimilierten, die sich entweder von der Religion völlig gelöst hatten oder deren jüdisches Leben sich auf den Besuch der Synagoge an hohen Festtagen beschränkte.
Trotz der antisemitischen Anfeindungen kennzeichnete viele Familien ein ungebrochener österreichischer Patriotismus, z. B. hatten Familienväter im Ersten Weltkrieg als Soldaten der österreichischen Armee gedient. Anfeindungen und Ausgrenzungstendenzen empfanden sie als Teil der Normalität und nahmen sie hin, für einige waren die Antworten auf den Antisemitismus die Betonung ihrer jüdischen Identität und der Zusammenschluss in zionistischen Vereinen.