Wen musste ich zurück lassen?
Durch den Anschluss an Nazi-Deutschland im März 1938 wurden aus Buben und Mädchen, die durch verschiedene Eigenschaften, Hobbys, Charaktermerkmale, soziale Verhaltensweisen, gesellschaftliche Zugehörigkeiten gekennzeichnet waren, Menschen, die nur EIN vermeintliches Merkmal definierte: Sie waren Juden und Jüdinnen. Diese Zuschreibung nach der NS-Ideologie entschied über das weitere Schicksal von jüdischen ÖsterreicherInnen, führte zur Vertreibung und oft auch zum Tod.
In vielen Familien diskutierte man verzweifelt über die Flucht und Emigration, doch es war sehr schwierig, ein Aufnahmeland zu finden. Da England nur Kinder und Jugendliche akzeptierte, mussten die Eltern oft folgenschwere Entscheidung treffen, denn es war oft nicht möglich, dass die Familie gemeinsam floh. Die Abschiedsszenen sind bis heute für die Überlebenden unvergesslich und traumatisch, die Erinnerung daran lässt die Interviewten oft verstummen. Es schmerzt auch nach Jahrzehnten, wenn Mutter und Vater, Geschwister, Onkel und Tanten, Großeltern und Freunde zurückgelassen werden mussten.
Wie reagierten die nichtjüdischen ÖsterreicherInnen auf die Ausgrenzung,
den Raub oder die Vertreibung der jüdischen MitbürgerInnen? Die Mehrheit waren Mitläufer und Mitläuferinnen, sie schauten zu, stimmten zu, passten sich an. Viele profitierten von der Vertreibung der jüdischen Bevölkerung, eigneten sich Wohnungen und Geschäfte an. Die Ideologie der Ungleichheit und Ausgrenzung wurde von vielen akzeptiert und mitgetragen. Nur wenige boten ihre Hilfe an.